Die Schuhe des Van Gogh




Diese Schuhe sind die Nachbildung eines Bildes der Schuhe von Vincent van Gogh. Er hatte seine alten, abgetragenen Schuhe aufgehoben und gemalt. Offensichtlich hatten sie für ihn eine große Bedeutung.

Der Philosoph Martin Heidegger hatte das Bild auf sich wirken lassen und schrieb ihm folgende Bedeutung zu: Um diese Paar Bauerschuhe herum ist nichts, wozu und wohin sie gehören könnten, nur ein unbestimmter Raum. Nicht einmal Erdklumpen von der Ackerscholle oder vom Feldweg kleben daran, was doch wenigstens auf ihre Verwendung hinweisen könnte. Ein Paar Bauernschuhen und nichts weiter.

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Und dennoch versucht Heidegger, unter reiner Bezugnahme auf die Form des Kunstwerks zum Kern von dessen Bedeutung vorzudringen: Aus der dunklen Öffnung des ausgetretenen Inwendigen des Schuhzeuges starrt die Mühsal der Arbeitsschritte. In der derb-gediehenen Schwere des Schuhzeuges ist aufgestaut die Zähigkeit des langsamen Ganges durch die weithin gestreckten und immer gleichen Furchen des Ackers über dem ein rauer Wind steht. Auf dem Leder liegt das Feuchte und Satte des Bodens. Unter den Schuhen schiebt sich hin die Einsamkeit des Feldweges durch den sinkenden Abend. In dem Schuhzeug schwingt der verschwiegene Zuruf der Erde, ihr stilles Verschenken des reifenden Korns und ihr unerklärtes Sichversagen in der öden Brache des winterlichen Feldes. Durch dieses Zeug zieht das klaglose Bangen um die Sicherheit des Brotes, die wortlose Freude des Wiederüberstehens der Not, das Beben in der Ankunft der Geburt und das Zittern in Umdrohung des Todes. Zur Erde gehört dieses Zeug und in der Welt der Bäuerin ist es behütet. Aus diesem behüteten Zugehören ersteht das Zeug selbst zu seinem Insichruhen.

Van Gogh selbst hat in einem Gespräch die allgemeinen Umstände der Entstehung des Werks beschrieben. Paul Gaugin teilte 1888 mit von Gogh in Arles ein Zimmer, und es fiel ihm auf, daß Vincent ein Paar völlig verschlissene Schuhe aufbewahrte, die für ihn eine sehr große Bedeutung zu haben schienen. Gauguin berichtet:

Im Atelier lagen ein Paar genagelter Schuhe, ganz verschlissen und mit Schmutz besprenkelt; er machte davon ein bemerkenswertes Stilleben. Ich weiß nicht, warum ich das Gefühl hatte, dass hinter diesem alten Relikten eine Geschichte stecken müsse, und ich wagte eines Tages die Frage, ob er einen Grund dafür habe, dass er etwas, was man normalerweise dem Lumpensammer auf den Karren werfen würde, so respektvoll aufbewahrte. Vincent beginnt also die Geschichte dieser verschlissenen Schuhe zu erzählen. „ Mein Vater“ sagte er, „war Pfarrer, und auf sein Drängen studierte ich Theologie, um mich auf meinen künftigen Beruf vorzubereiten. Als junger Pfarrer ging ich eines schönen Morgens nach Belgien, ohne meiner Familie etwas zu sagen, um in den Fabriken das Evangelium zu verkünden, nicht so, wie man es mich gelehrt hatte, sondern so, wie ich es selbst verstand. Diese Schuhe haben, wie du siehst, die Strapazen dieser Wanderschaft gut überstanden“. Als Vincent bei den Bergleuten der Borinage predigte, nahm er sich eines Opfers eines Grubenbrandes an. Der Mann hatte so schwere Verbrennungen erlitten und war so verstümmelt, dass der Arzt keine Hoffnung auf eine Genesung hatte. Er glaubte, dass nur ein Wunder ihn rettete könne. Van Gogh kümmerte sich vierzig Tage liebevoll um den Bergmann und rettete sein Leben. Es müssen vierzig außergewöhnliche Tage gewesen sein, die sich tief in van Goghs Seele einprägten. Über einen Monat lang war Vincent an der Seite eines Mannes, der so schwere Verbrennungen davongetragen hatte, dass der Arzt für ihn nur einen sicheren und qualvollen Tod voraussah. Dann hatte Vincent eine Vision, die er seinem Freund Gauguin mitteilte und die erklärt, warum diese Episode für ihn so wichtig war. Anders als seine klugen holländischen Professoren glaubte Vincent an einen Jesus, der die Armen liebt. Und seine ganz von Barmherzigkeit durchdrungener Seele verlangte danach, den Schwachen tröstende Worte zu geben und sich für sie zu opfern. Nach dem Brand in der Grube nahm Vincent den furchtbar verstümmelten, mit verbranntem Gesicht und von den Ärzten aufgegeben Bergmann auf. Vincent ließ sich nicht beirren und wachte vierzig Tage lang am Bett des Sterbenden. Unerschütterlich hielt er die Luft von seinen Wunden fern und bezahlte die Arzneimittel. Der Patient begann zu reden und die Anstrengungen van Gogh`s brachten einen Toten wieder in`s Leben zurück. Die Narben auf dem Gesicht des Mannes, der durch das Wunder der Zuwendung dem Tod entrissen wurde, sahen für Vincent genauso aus wie die Narben einer Dornenkrone. „ Ich hatte“, sagt Vincent, „ in der Gegenwart dieses Mannes, der auf seiner Braue mehrere Narben trug, eine Vision der Dornenkronen, eine Vision des Wiederauferstanden Christus.“